Aunty Und Das Sexting- Cybersex Und Pandemie

Sagt Dir Sexting etwas? Ich glaube nebst WC-Papier und Benzinkanister ist das eines der Dinge, dass extrem an Wert gewonnen hat, in der Zeit des Lockdowns. Sexting – die Lightvariante privater Pornographie.

Damit wir alle vom Selben sprechen, habe ich etwas recherchiert, um das Wort Sexting richtig zu verwenden. Dabei ist mir alarmierendes aufgefallen. Doch zunächst zur Sache selbst.

Sexting beinhaltet das hin- und herschicken von Text-, Bild- oder Videomaterial, zur gegenseitigen Erregung. Es ist der digitale Austausch intimer Kommunikation zwischen zwei Menschen. Das Wort Sexting setzt sich dabei aus den Worten «Sex» und «Texting» zusammen.

Wie bei allem gibt es Befürworter und Gegner. Sexting-Gegner bezeichnen es als digitalen Exhibitionismus, fragwürdige Sexualisierung und Pornografisierung.

Bei den Befürwortern wird Sexting als zeitgemässer Austausch von Intimität bezeichnet, oder kreative Contentproduktion.

Ich bin kein Sexting-Gegner. Es aber als kreative Contentproduktion zu bezeichnen, geht vielleicht doch zu weit. Das ist, wie wenn man schwererziehbare Jugendliche als «verhaltensoriginell» betitelt. Wenn ein Teenie mit dem Klappmesser in die Schule geht, ist das weder cool noch originell. Und ein Handybild von mir im BH, ist nicht zwingend kreativer Content.

Aber sagen zu können «Ich habe für eine kurze Zeitspanne kreativen Content kreiert» hört sich besser an als «habe eine Zeit lang einem Dude Nacktfotos von mir geschickt».  Das leuchtet mir schon ein.

Sexting bedeutet sich vorzustellen, die andere Person an sich zu drücken, sanft das T-Shirt hoch zu ziehen und beginnt, ihr sinnlich den Hals zu küssen. Dabei fasst man sich selbst an und stellt mit Freude fest, dass sich der Körper über die eigene Fantasie freut. Weil man kein Egoist ist, teilt man die Fantasie der betreffenden Person mit. Man teilt mit, dass man es kaum erwarten kann sie zu sehen, um übereinander herzufallen.

Diese Spannung erotisch zum Ausdruck zu bringen, erfordert schon gewisse skillz.

Auf Wikipedia steht zusätzlich, dass Nacktfotos als «Nelfies» bezeichnet werden. Nelfies?! Hat dies schonmal jemand gebraucht? «Schick mir doch mal ein Nelfie?!» Mega unsexy.

Beim Sexting kann auch ein Schritt weiter gegangen werden und man verschickt Videomaterial. Das sind die Bonez-Anhänger unter uns, stehen vor dem Spiegel und wixxen auf sich selbst.

Und hier kommt der beunruhigende Teil: Wikipedia schlägt vor, dies über MMS oder WhatsApp zu tun. Wer verschickt heute noch MMS? Und wer macht das Ganze über WhatsApp?? Dafür wurde Snapchat erfunden, oder einmaliges Ansehen bei Instagram-Unterhaltungen. Diese Bilder sind wirklich nicht für die Ewigkeit gedacht.

Immerhin verweist Wikipedia auf eine Aufklärungskampagne von Pro Juventute, welche auf die Gefahren von Sexting hinweist. Ich hoffe, dass hierfür ein Medienpädagog in Ratschaft gezogen wurde, welcher nicht bei MMS und WhatsApp stehen geblieben ist.

An dieser Stelle ein Tipp von mir: «Einmaliges Ansehen erlauben» im Instagramchat auswählen und los geht`s. Verwende Boomerangs und verschiedene Filter. So erkennt man mal mehr, mal weniger. Mach dies, wenn Du etwas Übung hast. Denn wie bei einem guten Witz, ist Sexting auch eine Frage des Timings. Heiss, wenn ein Bild von dir in Unterwäsche ankommt und er oder sie sich darüber freut. Danach brauchst du 5 Minuten, bis du ein neues, gutes Bild hinkriegst? Meeeehhh…

So habe ich es zumindest gemacht, als ich Remi kennen lerne. Remi wohnt in Luzern, etwa eine Stunde von mir. Und wir lernen uns im Lockdown kennen, via App. Wir beginnen uns zu unterhalten, wobei er Sexting vorschlägt, da man sich derzeit schlecht treffen kann.

Ich sitze mit meinen kleinen Cousins vor dem Fernseher, als der Vorschlag kommt. Also muss ich für den Moment passen. Sexting und kleine Kinder sind nicht so eine gute Kombo. Das weiss ich, auch ohne Kenntnis der Pro Juventute Kampagne. Also melde ich mich bei Remi, als ich wieder zu Hause bin und wir beginnen uns Fotos zu schicken.

Remi hat nur noch Boxershorts an, während ich gemütlich in Shirt und Unterwäsche posiere. Er meint, wir seien so nicht auf dem gleichen «Level». Damit möchte er wohl sagen, dass ich mehr anhabe als er. Was passiert wohl, wenn ich auch zum nächsten Level übergehe? Zeigt er mir seinen Penis und im Hintergrund ertönt eine stimme mit «Itsa mee, Mario!?». Das wäre kreativer Content!Wir machen weiter, bis wir uns nackt Boomerangs hin und her verschicken und uns gegenseitig einheizen. Er versteht es, nicht zu forsch oder plump zu sein.

Und so passiert das, womit ich nicht gerechnet habe. Das Ganze macht Spass und wir machen so lange weiter, bis Remi kommt. Wie ich das weiss? Nun, er teilt es mir via Text mit, ganz einfach. Wir wünschen uns einen schönen Abend. Ich besorg es mir in Ruhe noch fertig. Nicht schlecht, für den Anfang.

Das Sexting ritualisiert sich. Wann immer die andere Person Bock hatte, meldet sie sich kurz mit einem «Anfangs-Foto». In unserem Fall, mit einem Foto der eigenen Beine, die sich auf dem Bett ausstrecken.

Weisst Du, was das Gute am Sexting ist, nebst dem Einhalten von Social Distancing, in Zeiten einer Pandemie? Keine Verpflichtungen nebenher. Ich muss nicht täglich schreiben, gemeinsame Interessen herausfinden, die Freunde kennen lernen, essen gehen, mich über die Arbeit unterhalten. Es ist die virtuelle Version der «Fuck-Only-Beziehung».

Und Deine Aunty brauchte genau das. Hinzu kommt regelmässige Selbstbefriedigung, als positiven Nebeneffekt. Selbstbefriedigung schüttet Glückshormone aus, baut Stress ab, verbessert die Qualität von Spermien und regt die Produktion von Sexualhormonen an, was uns jung und fit hält.

Ich glaube, vielen Menschen würde eine temporäre Sexting-Beziehung gut tun. Stell Dir vor, wir stellen allen Risiko-Berufen, gefüllt mit hohem Stresslevel, einen Sexting-Partner zur Verfügung. Zum Beispiel allen Pflege- und Betreuungsberufe. Es ist schön und gut, haben wir aus Solidarität applaudiert. Aber jetzt mal im Ernst, Orgasmen statt Applaus scheint mir ein echt guter Deal zu sein.

Fairerweise muss ich auch auf die Sonderbarkeit dieser Beziehung hinweisen. In all dieser Zeit, in welcher Remi und ich uns schreiben, haben wir uns ein einziges Mal gesehen. Der Sex war OK, aber ich glaube für uns beide hatte sich das Sexting so eingespielt, dass eben Sexting unser Ding war. Nicht richtiger Sex, so ganz analog und so. Irgendwie schräg, oder?

Der Mensch ist nun mal ein Gewohnheitstier und Rituale stehen bei den Meisten hoch im Kurs. Wir verändern nicht gerne etwas, dass bisher gut funktioniert hat. Ausserdem lässt Sexting viel Raum für die eigene Fantasie und Interpretation. Diese intime und spannungsgeladene Fantasie, füllst du automatisch deinen Bedürfnissen entsprechend.

Nach unserem einmaligen treffen haben wir uns nie wieder gesehen, das Sexting aber noch ein wenig beibehalten. Bis ich dann fand, dass wir einen Schlussstrich ziehen müssen. Denn ja, keine sonstigen Anhaltspunkte zueinander sind nice, reichen aber auf Dauer doch nicht aus. So hatte die ganze Sextingstory ein Anfang und ein Ende.

All das erzähle ich Dir, damit Du nicht weinend vor mir steht, weil Aunty gesagt hat, Sexting ist cool und jetzt ist nichts aus Dir und Lover69 geworden. Überleg also gut, ob Du Bock darauf hast. Nur weil Du Deiner Angebeteten beim Masturbieren hilfst, heisst das nicht, dass dies etwas ernsthaftes wird. Das gilt für Frau und Mann gleicherweise.

Der Sexting-Spielplatz ist grundsätzlich nicht der Ort, an dem Mann oder Frau die nächste, exklusive Beziehung aufbaut. Aber es ist ein Spielplatz, welcher mit der richtigen Handhabung, viel Spass macht. Dass Sexting auch Risiken birgt, muss ich Dir nicht erklären, oder?

Sonst frag Pro Juventute, nicht mich. Merci.

In dem Sinne, have fun and stay safe!

Göring, N. (2015) Sexting. Aktueller Forschungsstand und Schlussfolgerungen für die Praxis. Blickpunkt, Kinder und Jugendschutz, 978-3-00-049233-4, 15-44.